Blindgänger

Blindgänger-Markierung Markierung eines “Blindgängers”
während einer Luftschutzübung 1935
Ein Problem, was nach beinahe jedem Luftangriff erneut auftauchte, waren die nicht detonierten Bomben, die im Schutt der zusammen­gestürtzen Häuser verborgen lagen oder sich einige Meter tief in den Boden gebohrt hatten. So oder so ging eine große Gefahr von den Blindgängern aus, da neben dem Versagen des Zünd­mechanismus auch die Möglichkeit bestand, dass die Bombe mit einem chemischen Langzeit­zünder (LZZ-Bomben) ausgestattet war. Dabei wird während des Abwurfs durch einen Mechanismus eine gefüllte Glasampulle zerbrochen, deren Inhalt (Aceton) langsam eine Zelluloid­membran auflöst, die den Zünder sichert. Ist die Membran zersetzt, so wird die Bombe gezündet. Die Verzögerungs­dauer ging von wenigen Stunden bis hin zu Tagen und Wochen. Die Entschärfung solcher LZZ-Bomben ist auch heute wegen der Brisanz und Instabilität der Zünd­mechanismen sehr gefährlich, ein Transport zu einem Sprengplatz meist nicht möglich.
Von außen waren die LZZ-Bomben nicht von “normalen” Blindgängern zu unterscheiden und führten so oft zu Verzögerungen bei den Bergungs­arbeiten der Rettungs­mannschaften, da das Umfeld erst gesichert werden musste. In der Regel blieben die Blindgänger bis zu acht Tagen liegen, die unmittelbare Umgebung wurde abgesperrt. Die Verordnung zum Umgang mit Blindgängern beruhte am Anfang des Krieges noch auf Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg (Luftwaffendienstvorschrift L.Dv.764 vom September 1939):

13. Sofort nach dem Auffinden von Blindgängern ist die nächste Umgebung (im Umkreis von etwa drei [!] Metern) abzusperren. Die Blindgänger sind durch Warnungstafeln zu kennzeichnen, die bei Dunkelheit durch vorschrifts­mäßig abgeblendete Lichtquellen zu beleuchten sind.

Spätestens seit dem Beginn der Flächenbombardements 1942 war diese Vorschrift Makulatur geworden. In einer durch Bomben­teppiche und Flächen­brand zerstörten Straße war es fast unmöglich, die Blindgänger unter den Trümmern zu finden.
Für die Entschärfung eines Blindgängers gab es speziell ausgebildete Wehrmachtsangehörige, die sogenannten Feuerwerker. Diese mussten, oft nur mit einer einfachen Rohrzange versehen, die freigelegten Sprengkörper durch das Entfernen der Zünder unschädlich machen. Am Anfang des Krieges war dies noch eine verhältnis­mäßig kalkulierbare Arbeit. Später wurden neue Zünderarten entwickelt, die nicht mehr aus­geschraubt werden konnten und dadurch beinahe nicht mehr entschärfbar waren und häufig zum Tod des Feuerwerkers und seiner Helfer führten. Wie viele Personen während des Krieges bei Entschärfungs­aktionen umkamen, ist heute aufgrund zumeist fehlender Akten nicht bestimmbar. Sicher ist jedoch, dass besonders häufig KZ-Häftlinge umkamen, die – kaum ausgebildet und erfahren – auf die Bergung und Entschärfung der Blindgänger angesetzt wurden. Adolf Hitler und SS-Chef Heinrich Himmler hatten dazu 1940 den ausdrücklichen Befehl erteilt. Besonders in der zweiten Hälfte des Krieges wurde die Arbeit solcher Gefangenen-Räumtrupps immer häufiger und galt als unentbehrlich. Zumeist handelte es sich aber um Himmelfahrts­kommandos.

Viele Blindgänger ruhen seit Kriegsende im Boden. In der unmittelbaren Kriegsfolgezeit 1945-1951 starben auf dem Gebiet der Bundesrepublik noch über 5000 Menschen durch die Explosion von Blindgängern, davon mehr als 250 Feuerwerker.

Heute

Im Jahr 2020 wurden in Niedersachsen rund 111 Tonnen Munition und Kampfmittel beseitigt. Dazu rückten die Kampfmittel­räumdienste mehr als 1100 Mal aus. Allein bis September 2020 wurden dabei 94 Bomben mit mehr als 50kg Gewicht entfernt. Die Funde kommen meist durch Bauarbeiten oder durch die gezielte Auswertung von Luftbildern zustande 1. Für die Luftbild­auswertung steht für etwa 90 % des Landes Niedersachsen entsprechendes Fotomaterial (rund 400.000 Bilder) in sehr unterschiedlicher Qualität zur Verfügung.

Auch im Braunschweiger Stadtgebiet und Umland werden immer wieder Blindgänger gefunden:

  • Im Braunschweiger Bürgerpark bewahrheitet sich am 12. November 2023 ein Blindgängerverdacht: Zwei amerikanische 500-lbs-Bomben werden gefunden und können am Nachmittag in der Nähe der Echobrücke beseitigt werden. Etwa 5000 Braunschweiger müssen dazu vorübergehend ihre Wohnungen verlassen.
  • Zwei amerikanische 500-lbs-Bomben (ca. 230kg) werden am 14. August 2022 nahe des Ortsteils Leiferde erfolgreich entschärft. Die Zünder lassen sich problemlos entfernen, so dass 1800 zeitweise evakuierte Bewohner wieder in ihre Wohnungen zurückkehren können. Auch hier ist möglich, dass sie vom Angriff am 30.Januar 1944 stammen.
  • Am 1. Dezember 2021 wird nördlich der Siedlung Mastbruch eine amerikanische 230-Kilo-Bombe erfolgreich entschärft. Etwa 450 Personen müssen währenddessen evakuiert werden, auch die nahe Autobahn 39 und die Bahnlinien werden in der Zeit der Entschärfung gesperrt.
  • Anfang Mai 2021 wurden auf einem Feld nahe Salzdahlum bei Bausondierungen zwei alliierte Bombenblindgänger aufgespürt. Sie mussten aufgrund der starken Verformung der Zünder vor Ort gesprengt werden. Es wird angenommen, dass sie von einem Angriff am 30.Januar 1944 stammen.
  • Am 24. Oktober 2019 wird in der nähe des Waller Sees eine amerikanische 230-kg-Fliegerbombe (500 lbs.) erfolgreich entschärft. Während der Entschärfung musste der Verkehr auf dem Mittellandkanal und am Flughafen Waggum eingestellt werden.
  • Anfang April 2018 wird bei Tiefbauarbeiten in der Hennebergstraße ein 230-Kilo-Bombenblindgänger gefunden. Rund 10000 Menschen müssen für die Entschärfung ihre Unterkünfte verlassen. Von der Evakuierung ist ein großer Teil der Innenstadt betroffen, es gibt Einschränkungen bei den Straßenbahn- und Buslinien. Ein Konzert in der Braunschweiger Stadthalle wird abgesagt.
  • Am 11. März 2017 müssen rund 6000 Bewohner der Stadtteile Südstadt, Mascherode und Lindenberg ihre Wohnungen verlassen. Grund ist die Entschärfung eines 500-Pfund-Blindgängers, der am Rande des Rautheimer Holzes gefunden wurde. Die Entschärfung läuft problemlos und ist am frühen Nachmittag abgeschlossen.
  • Auf dem Gelände des Brawo-Parks in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hauptbahnhof wird am 20.7.2015 eine 10-Zentner-Bombe freigelegt. Für die Entschärfung muss das Umfeld großräumig evakuiert werden, etwa 11000 Einwohner sind betroffen. Der Bahnverkehr kommt zum erliegen, zahlreiche Straßensperrungen führen ebenfalls zu starken Verkehrsbehinderungen.
    In Vorsfelde bei Wolfsburg wurden im Juli zwei Weltkriegs-Panzerminen gefunden, die durch Sprengung beseitigt wurden.
  • Weitere Bombenfunde im Braunschweiger Stadtgebiet 2013: Juni in Rühme, Juli in Melverode.
  • Mitte Januar 2013 wird an der Schunter zwischen Rühme und Bienrode eine britische 500-Pfund-Bombe (220kg) gefunden. Rund 3300 Anwohner aus den umgebenden Wohnbereichen mussten kurzzeitig evakuiert werden, die Autobahn wurde gesperrt. Die Bombe wurde durch Entfernung des Zünders entschärft.
  • Auf dem Gelände der geplanten Flughafenerweiterung wird März 2012 erneut eine britische 250kg-Fliegerbombe gefunden. Da diese mit einem Langzeitzünder versehen ist, wird sie noch vor Ort zur Explosion gebracht. 1700 Anwohner müssen aus dem gefährdeten Bereich evakuiert werden, Autobahn und Flughafen werden für die Zeit der Beseitigung gesperrt.
  • Im Januar 2011 werden auf dem Gelände der geplanten Flughafenerweiterung fünf kleine Splitterbomben gefunden, die vom Kampfmittel­beseitigungsdienst der Polizeidirektion Hannover problemlos entschärft werden können. Evakuierungen sind aufgrund der Lage des Fundorts in einem Waldgebiet nicht notwendig.
  • Am 18. Oktober 2009 werden im Stadtteil Riddagshausen vier amerikanische Bombenblindgänger beseitigt, einer davon durch Sprengung. Zeitweise müssen 5200 Bewohner der näheren Umgebung evakuiert werden.
  • 2100 Mascheroder müssen kurzfristig ihre Wohnungen verlassen, als am 5. September 2009 in der Nähe des Ortes eine amerikanische 250 kg-Bombe freigelegt und entschärft wird.
  • Mitte Juni 2009 wird in Riddagshausen ein 500 kg schwerer Bomben­blindgänger entschärft. Rund 900 Bewohner aus der Umgebung müssen kurzfristig das Gefahrengebiet verlassen.
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Warnung

Eigentlich selbstverständlich, aber trotzdem sei nochmal darauf hingewiesen: Fundmunition aller Art (Granaten, Patronen, Minen, usw.) und unidentifizierbare oder mutmaßliche Munitions­teile sollten auf keinen Fall berührt, bewegt oder untersucht werden. Dies könnte schwere gesundheitliche, aber auch strafrechtliche Folgen für den Finder haben! Munitionsfunde sind am Fundort zu belassen und umgehend den zuständigen Ordnungs­behörden oder der Polizei vor Ort zu melden, damit weitere Maßnahmen erfolgen können.